Aus unserer beliebten Reihe “Irrwege der Musikpädagogik”.
Heute: Die Vierschlagnote.
Ganze-Note

In der Schule bekommt man das ja meistens so erklärt:
Das ist eine Ganze Note, diese dauert vier Schläge, deshalb wird sie auch Vier-Schlag-Note genannt. Das ist eine Halbe Note, diese dauert zwei Schläge, deshalb wird sie auch Zwei-Schlag-Note genannt, bla, bla, …

Zeitgleich präsentiert man eine Reihe von lustigen Beispielen mit Torten, die zunächst in Halbe, dann in Viertel zerlegt wird.

Bis hierher muss der Lehrer aber schon froh sein, wenn keiner der Schüler eine Zwischenfrage gestellt hat. Denn was ist mit der Achtelnote? Ist das dann eine Halb-Schlag-Note? Was ist mit der Sechzehntelnote? Ist das dann eine Viertel-Schlag-Note?

… ja,ja, ist alles soooo logisch. Versucht mir mal zu intellektuell zu folgen: Eine Achtel- ist eine halbe Viertelnote. Und eine Halbe das doppelte einer Viertelnote. Eine Sechzehntelnote ist ein Viertel der Viertelnote, usw.

Spätestens jetzt braucht man sich nicht wundern, wenn slbst säuberlich an die Tafel gemalte Tortenteilchen nicht mehr zum besseren Verständnis beitragen.

Mehr noch. Das ganze Erklärungsgerüst hat nicht nur recht wenig mit Musik zu tun, es ist aus musikalischer Sicht sogar FALSCH.

Warum?
Weil die Viertelnote keine Ein-Schlag-Note ist!

Die Wahrnehmung von Rhythmus existiert nur in Abhängigkeit eines Grundpulses (Schlag). Dieser kann aber ständig variieren. Und genau das ist das Problem der “Tortenteilchenmethode”.

Das oben genannte Erklärungsmodell ist nur in einem sehr begrenzten Rahmen gültig und zwar dann, wenn die Viertel auch tatsächlich dem Grundpuls entspricht. Verallgemeinert ist diese Sichtweise schlichtweg falsch.

Beispiele gefällig?
Alla Breve- und 6/8tel- Takte haben i.d.R. einen anderen Grundpuls. Eine Viertelnote im 6/8tel-, oder Alla Breve-Takt hat nicht mehr die Dauer eines Schlages.
Zufälligerweise sind 6/8tel und Alla Breve auch genau die Taktarten, mit denen Schüler Probleme haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass da ein Zusammenhang besteht, schließlich wurden ihnen von Beginn an falsche Sichtweisen eingeimpft.

Die Sache geht ja noch weiter. Weil wir gerade von 6/8tel und Alla Breve reden: fragt mal was Alla Breve, oder 6/8tel ist und wie das zu spielen wäre :) Da bekommt man öfters die Antwort: “Alla Breve isch wia 4/4tel, lei dopplt so schnell”, oder 6/8tel isch wia 3/4tel, lei doppelt so schnell”. Unser Tortenbeispiel zieht also weite Kreise. Hinzu kommt, dass in diesem Fall auch das Metrum ignoriert wird: Alla Breve ist eben kein 4/4tel und 6/8tel kein 3/4tel. Sonst könnte man sich ja die Mühe sparen, das zu Beginn jeder Notenzeile zu schreiben.

Ein weitereres Beispiel ist die Microtime: Wenn ich in einem 4/4tel Takt einen stark ternär geprägten Achtel-Rhythmus spiele, und plötzlich kommt eine Viertelnote daher, dann lass ich logischerweise die Triolen weiterlaufen und schalte nicht um auf binär. Also hat meine Viertel plötzlich 3 Schläge, weil ich das Ganze in Achtel-Triolen zerlege.

Musikdidakten sind sich meist bewusst, dass das mit der Vierschlagnote eigentlich Unfug ist. Man möchte die Rhythmuslehre nicht unnötig verkomplizieren, man möchte den Kindern einen einfachen Einstig in die Materie geben ist eine häufige Ausrede. Denn – in Wirklichkeit sind die Tortenbeispiele keine Vereinfachung, mehr eine Verwirrung und es ist sicherlich nicht förderlich, wenn man als Schüler draufkommt, dass man jahrelang einen falschen und hinderlichen Blickwinkel hatte. Wie Rhythmus unterrichtet werden kann haben bereits vor einem Jahrhundert Orff, Kodaly und Dalcroze aufgezeigt. Diese Einstellung ist deshalb auch aus didaktischer Sicht ignorant.

Abschließend sei noch erwähnt, dass sich genau diese Erklärungsweise im “DA CAPO … Musik verstehen von Anfang an!” wiederfindet. Dort steht der selbe Schmarrn (“die Viertel Note dauert einen Schlag”) nur ohne Tortenbeispiele :)

“DA CAPO” ist das VSM-spendet-Geld-an-KOCH-Heftchen das Jungmusiker kaufen sollen, wenn sie ihr Leistungsabzeichen machen wollen. Wir züchten uns also auch noch Leute heran, die diese Idee u.U. unhinterfragt weitergeben.

Richtiger wird’s dadurch aber auch nicht.